Der Originalartikel wurde am 5. November 2020 hier veröffentlicht.
(kanthari: Hin und wieder posten wir gerne Artikel von Autoren anderer Blogs. Die Ansichten spiegeln dabei nicht immer die unsrigen wieder. Dieser Artikel hat uns dazu angeregt, selbst an einem Artikel zum Thema “Erwachsen werden, im indischen Kontext” zu arbeiten… bald… in diesem Blog)
Von Zoya Raj Singh (Instagram @zedohwhyayy.)
„Es braucht einen beträchtlichen Schuss Selbstkritik, um anzuerkennen, dass wir alle in der Lage sind, das Patriarchat in unserem Alltag zu verfestigen. Als unterschwellig schwelendes Konzept scheint das Patriarchat immer in unserem Lebensvorstellungen mitzuschwingen und es scheint immun zu sein gegen heutige emanzipatorische Errungenschaften.
Diese Pandemie hat sich für einige von uns als mittlere Katastrophe entpuppt, andere kommen gut durch, allerdings mit naiver Glückseligkeit. Die unterschiedlichen Erfahrungen werden in jeder Lokalzeitung zum Besten gebracht.
Persönlich gab es für mich einen inneren Kampf zwischen dem festen Glauben an die Selbstverwirklichung der Frau durch die individuelle Lebensgestaltung und meiner Wut über meine Mutter, dass sie sich entschieden hat, die Familie zu verlassen, um in einem anderen Land zu arbeiten. Sie arbeitet in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Ich lebe in Indien. Das war in den letzten fünf Jahren so.
Als Teenager, arrogant und wütend, empfand ich diese Konstellation eher als Erleichterung. Doch während der Pandemie wurde die Trennung zum ewigen Streitapfel.
Ja, meine Mutter hatte die Möglichkeit, ihre Traum-Karriere selbst in die Hand zu nehmen und entschied sich für ein hier nicht ganz alltägliches Lebenskonzept.
Trotz der vielen widersprüchlichen inneren und äusseren Stimmen und Ratschlägen, tat sie, was die meisten anderen Frauen in ihrem Alter aufgrund des gesellschaftlichen/familiären Drucks oder aufgrund ihrer persönlichen Überzeugung nicht getan hätten.
Es war ein mutiger Schritt, sich aus der Komfortzone herauszubewegen und ein Leben in einem völlig unbekannten Land, ganz auf sich selbst gestellt anzugehen. Sie hat sich in ihrem Beruf verwirklicht und das ist inspirierend.
Während des Studiums lebte ich nicht zu Hause. Da war die Abwesenheit meiner Mutter nur wenig zu spüren. Die Zoom gesteuerte Fernkommunikation, die während der Pandemie zur Norm wurde, war für uns schon früher an der Tagesordnung. Was sich für mich allerdings geändert hat, ist meine Reaktion auf ihre Leidenschaft und ihr Engagement für ihre Arbeit.
Während ich pandemiebedingt zu Hause bleiben musste, haben mich die ständigen Anklagen und kritischen Nachfragen der anderen in meiner Einstellung meiner Mutter gegenüber sehr beeinträchtigt. Die Aussagen zusammengefasst: “Sie hat ihrer Arbeit den Vorrang gegeben …”, “sie hat ihren Mann und ihr Kind zurückgelassen …”, und “sie ist nicht hier, um sich um ihr Haus zu kümmern …”.
Jede dieser Aussagen zeigt, wie unglücklich ich sein muss, Kind einer so unabhängigen Frau zu sein. Und jede dieser Aussagen ist Ausdruck und Verfestigung der Konvention.
Es erscheint einigen unerträglich, dass die Rolle der Mutter auch anders ausgefüllt sein kann. “Eine Mutter ist dazu da, für das Wohl anderer zu agieren!”. So einfach ist es für die Meisten. Und sobald eine Person aus dem Etikette fällt, wird es schwierig sein, sie einzuordnen. Was nicht bekannt ist, wird bekämpft.
Ich hatte diese Aussagen verinnerlicht und glaubte für eine gewisse Zeit, dass sie doch nur meine Mutter sei, nur das und nichts anderes.
Jeder Anruf führte zu Streit, Tränen und Vorwürfen und Selbstvorwürfe für die Sorgen, und Schuldgefühle, die ich in ihr verursachte. Es war mir Unangenehm, Unfähig zu sein, ihr Engagement für ihren Beruf zu begreifen. Ich fühlte mich vernachlässigt, da andere in meinem Alter die Pandemie mit ihren Müttern verbringen durften und schliesslich war es mir peinlich, dass ich für gewisse Zeit durch die dogmatischen Einflüsterungen der anderen beeinträchtigt wurde.
Das Patriarchat mit all seinen Spielarten ist tief und stark in unserer Kultur verwurzelt. Wir müssen nur erkennen, dass wir alle das Patriarchat immer noch in uns haben. Dann können wir uns davon befreien.
Ich lerne weiterhin, Tag für Tag. Ich bin bereit, neu zu lernen. Nur so kann ich mich Schritt für Schritt von solchen stigmatisierten Vorstellungen entfernen. Und so suche ich Inspiration in Lebensmodellen bekannter Frauen.
Der Weg zur vollständigen und völligen Gleichstellung aller Geschlechter ist ein langer Weg. Proaktivität ist jedoch die Notwendigkeit der Stunde.”