Nancy heiratete mit 16 Jahren einen Schuldirektor. Sie lachte, als sie mir von ihrer Wahl erzählte. “Ich glaubte, dass er mein Ticket zu mehr Bildung sei. Aber diese Hoffnung blieb unerfüllt!” Sie bekam kurz nacheinander zwei Kinder und musste zusätzlich vier weitere Kinder eines verstorbenen Verwandten adoptieren.
Die tägliche Suche nach Essen
“Ich denke, das wurde meinem damaligen Mann zu viel. Er fing an, mich zu misshandeln und schließlich warf er mich, samt meiner Sachen und meiner sechs Kinder auf die Straße. Und da war ich wieder, auf der täglichen Suche nach etwas zu Essen. Wenn immer ich Geld übrighatte, schickte ich die Kinder in die Schule. Wir waren alle unterernährt, hatten keine Seife und kein klares Wasser zum Waschen. Meine Kleidung war zerrissen und meine Haare standen ganz wild in alle Richtungen.” Sie kichert belustigt, “Haha ! The people called me a mad woman!” Dann wurde sie aber wieder ernst. “Wir hatten alle Hautprobleme, meine Kinder bekamen Würmer und der Lehrer wollte nicht mehr, dass sie in die Schule kamen, sie hätten ja ihre Klassenkameraden anstecken können.”
Was ist die Verantwortung der Familie?
Es gab eine Zeit in der Nancy bereits nach Möglichkeiten Ausschau hielt, sich das Leben zu nehmen. Doch dann kam endlich die erhoffte Wende: Sie fand einen Gönner, der allen ihren Kindern ein Stipendium stiftete. Und damit veränderte sich für sie alles und langsam konnte sie ihr Leben wieder selbst bestimmen. Es stellt sich hier für uns die Frage, wie viele Probleme aus dem Weg geräumt werden könnten, wenn nur die Regierung einsähe, dass primäre und sekundäre Bildung der Kinder und Jugendlichen staatlicher Verantwortung unterliegen sollte. In Indien sind öffentliche Schulen auch Regierungsangelegenheit und die Kinder bekommen sogar eine kostenlose und gehaltvolle Mahlzeit. Wenn also das Schulgeld hier in Simbabwe erst einmal aus dem Weg geschafft wäre, dann müssten die Eltern nur noch für die teuren Schulbücher und die Uniformen bezahlen. Und auch da bin ich der Meinung, dass Uniformen und Bücher Sache des Staates sein müsste. Schließlich sind Uniformen Pflicht und Soldaten bekommen ihre Uniformen auch durch den Staat gestellt. „Und was ist dann die Verantwortung der Familie?“, fragt mich Nancy sehr aufmerksam. “Gesunde und regemäßige Ernährung, eine saubere und kinderfreundliche Umgebung und ein liebevolles und gewaltfreies zuhause.” Nancy stimmt mir zu. Doch so logisch das ganze klingen mag, die Realität ist von dieser Utopie sehr weit entfernt. Nur hier in der Schule versucht Nancy alles, um so viel Gerechtigkeit wie möglich zu schaffen. Die Lehrer drücken ein Auge zu, wenn die Kinder nicht in Uniformen kommen und Bücher werden entweder von mindestens fünf Kindern geteilt oder es gibt einfach keine Bücher.
Schwerpunkt Kreativität
Ohne Bücher zu unterrichten, ist für die Lehrer nicht einfach, doch auch darin sieht Nancy nach vielen Diskussionen über alternative Bildung im kanthari Institut eine mögliche Chance. Sie möchte, dass die Lehrer sich eigene Mittel überlegen, den Unterricht so abwechslungsreich wie möglich zu gestalten. Und scheinbar geht ihre Überlegung auf. Die Lehrer fühlen sich nun frei in der Auswahl der Methoden. Sie bringen ihre eigenen Interessen in den Unterricht ein und wollen damit eine lebhafte Unterrichts-Atmosphäre schaffen. Da es keine Tafeln gibt, können sie auch keinen Frontalunterricht betreiben. Sie müssen die Kinder einbeziehen und das Ergebnis war umwerfend. Nancy hatte den Schülern am Vortag unseres Besuches angekündigt, sie sollten uns in irgendeiner kreativen Weise über ihr Leben, ihre Ängste und Wünsche aufklären. Wir waren etwas auf der Hut, denn am Morgen wurden wir durch alle Klassen geschleust und mit fast militärisch anmutenden Sprüchen aus mindestens 50 Kinderkehlen vollkommen synchron begrüßt. Doch dann saßen wir in einer Halle, vor uns etwa 700 Kinder im Alter von 4 bis 13 Jahren und über mehrere Stunden bekamen wir ein eigens zusammengestelltes, sehr kurzweiliges Programm vorgeführt.
Wenn der Vater Abends Wein trinkt...
Zunächst begann alles mit einem, von den Kindern selbst komponierten, sehr rhythmischen und mehrstimmigen Chorgesang, der uns vor Staunen ganz sprachlos machte. Ich habe selten so etwas Berührendes von Kinderchören gehört. Die Sänger, 11 bis 13 Jahre alt, hatten nicht nur unheimlichen Schwung, sie waren einfach durch und durch professionell. Auch Nancy war begeistert. Sie kannte die Lieder nicht, übersetzte mir aber den kurzen und recht verstörenden Text eines Lieds. „Wenn der Vater abends Wein trinkt, dann geht alles drunter und drüber.“ Die Not, die aus diesem Text sprach, hatte man dem schwungvollen Chor keineswegs angemerkt.
Gedicht eines 12-jährigen Mädchens
Doch dann wurde es ernst oder vielmehr sichtlich und hörbar zornig. Denn es wurde ein selbst geschriebenes Gedicht einer 12-jährigen vorgetragen. Es handelte von dem Schicksal der Mädchen, die zunächst einmal unerwünscht das Licht der Welt erblicken. Dann sind sie über ihre gesamte Kindheit immer die zweite Wahl, sie bekommen weniger zu Essen als die Brüder, müssen schon früh im Haushalt mitarbeiten, dürfen nicht spielen, nicht Kind sein, nur zur Schule gehen, solange das Schulgeld ausreicht. Sie müssen sich auf das Leben als Ehefrau und Mutter vorbereiten. Mit 13 sind sie dann so weit. Die Ehe wird geschlossen und die Mädchen mutieren praktisch über Nacht zu erwachsenen Sklavinnen. Nun, Sklavinnen waren sie auch vorher schon, aber jetzt gehören sie einem fremden Haushalt an und wenn nicht alles zur Befriedigung klappt, dann gibt es Schläge und Vergewaltigung. Die Kinder, die von Müttern, die selbst noch Kinder sind, geboren werden, machen die Situation nicht besser. “Es ist schon ein verdammtes Schicksal, ein Mädchen zu sein!”, ruft sie abschließend: “doch ich werde den Kreislauf brechen und alle sanders machen sie abschließend: “doch ich werde den Kreislauf brechen und alles anders machen. Ich werde für meine Rechte kämpfen!”
Es gibt großen Beifall und die Frauen die wie wir als Gäste geladen waren, freuen sich über die klaren Worte und den Mut, endlich etwas anzusprechen, dass sie alle selbst erlebt hatten.
Alkohol- und Drogenmissbrauch
Einige der Kindergruppen hatten klassenübergreifend für uns kleine Theaterstücke vorbereitet. Es handelte sich bei den Kindern entweder um hervorragende Schauspieler oder, und das war Nancys Ansicht, sie spielten einfach nur das, was sie tagtäglich zu Hause und in ihrer Umgebung vorgelebt bekamen. Und obwohl sie Beim Theaterspiel sichtlich Spaß hatten, war der Inhalt der Stücke eher bedrückend. Es ging nämlich im Besonderen um das Thema Alkohol- und Drogenmissbrauch, ein Thema, das hier in Simbabwe als eines der größten gesellschaftlichen Probleme angesehen wird.
Schon am Morgen wurden wir in unseren Interviews mit dem Thema konfrontiert. “Wir machen uns ständig Sorgen,”, meinte eine Großmutter, die einen ihrer Enkel in der Schule hat. “Die Drogendealer sind überall. Sie warten auf unsere Kinder, wenn sie von der Schule kommen, und sie verführen sie durch kleine Geschenke.”
Um welche Drogen es sich denn handle, fragte Paul. “Alles, meinte der Lehrer, der zum Teil als Übersetzer Fungierte. “Marihuana, Kokain, und besonders Crystal Meth!”
“Und woher haben sie das Geld? Wie können sich Kinder solch teure Drogen leisten, wenn schon 7 US Dollar für das Schulgeld nicht aufgebracht werden können?” “Sie stehlen, und zwar vor Allem von der eigenen Familie. Das Schulgeld muss als Erstes dran glauben.
Erschreckend gute Schauspieler
Genau das wurde uns sehr glaubhaft von den Kindern vorgespielt. Paul meinte später, es sei schon sehr erschreckend, wie gut sie es verstanden, das Ziehen am Joint nachzuahmen. Andere spielten sehr überzeugend ihre betrunkenen und mit Drogen betäubten Väter nach, die das wenige Geld, das für die tägliche Mahlzeit bestimmt war, gleich nach der Arbeit zur Bierhalle brachten. Da war es schon ein Glück, dass es zumindest in Nancy‘s Bierhalle kein Alkohol mehr gab, mit dem man sich ins Jenseits befördern konnte.
Am Ende gab es ein Stück, dass mich noch lange nachdenklich stimmte. Es ging um Glauben. Dabei wurden Aberglauben und Kirchenglauben mehr oder weniger gleichgesetzt oder besser, einander gegenübergestellt. Es gab ein Problem mit gestohlenem Geld. Der Dieb wurde gesucht. Der Bestohlene, ein Junge, wusste sich nicht zu helfen und ging erst einmal zum “Nanga“, dem hiesigen Hexer. Doch der wollte nur noch mehr Geld, um den Dieb zu fangen. Und wer nicht zahlt, wird eben verhext. Entmutigt über diesen skrupellosen Erpressungsversuch, ging der Junge nun zur Apostolischen Kirche, der White-Garment-Sekte, doch auch hier stellte man unfaire Bedingungen. Man würde dem Leidtragenden nur behilflich sein, wenn er in die Kirche eintrete und den Obersten diene.
Aberglaube, Hexerei, Gott
Ich hatte das Gefühl, dass es sich hier um ein grundlegend afrikanisches Problem handelte, das für viele daraus folgende Krisen verantwortlich ist. Hier standen sich also zwei einflussreiche Giganten gegenüber: der allgegenwärtige Aberglaube an Hexerei und der ebenso gefährliche fanatische Glaube an Gott. Beide Kräfte missbrauchen ihre Macht.
“Und wer gewinnt?”, frage ich Nancy, die neben mir sitzt und das Stück in groben Zügen übersetzt. “Keiner der Beiden! Der Hexer nicht und die Kirche auch nicht! Gewinner ist derjenige, der kapiert, dass wir uns nur auf uns selbst, auf unseren eigenen Verstand verlassen müssen!”