Schmerz in Zweck verwandeln

Enoque de Carvalho
2024 kanthari Teilnehmer aus Angola

Enoque stammt aus Angola, einem Land im südlichen Afrika, das für seine reichen natürlichen Ressourcen und seine vielfältige Kultur bekannt ist. Doch durch jahrzehntelangen Bürgerkrieg, was zu wirtschaftlicher Instabilität, weitverbreiteter Armut und einer stark belasteten Infrastruktur führte steht das Land vor erheblichen Herausforderungen. Es wird geschätzt, dass 2,5 % der Menschen in Angola eine Behinderung haben. Dies entspricht 656.258 Personen, von denen 56 % männlich und 44 % weiblich sind (Quelle: disabilityin.org). Enoques Bruder hatte nach einem Unfall eine Gehbehinderung. Sein Kampf und sein Tod inspirierten Enoque dazu, eine Organisation zu gründen, die Menschen mit Behinderungen in ähnlichen Situationen angemessene Unterstützung bietet. Um mehr über Enoques bemerkenswerte Reise zu erfahren, lesen Sie weiter:

Schmerz in Zweck verwandeln: Empowerment für Behinderte in Angola

Es war Mittwoch, der 20. September 2023. Es war 09:30 Uhr und die Sonne begann bereits, ihr mächtiges Licht zu strahlen. Mein 15-jähriger Bruder Mateus lag im Bett, da er durch seine Behinderung nicht mehr in der Lage war, sich allein von einem Ort zum anderen zu bewegen. Aufgrund eines Unfalls konnte er nicht mehr laufen. Er hatte aufgehört, zur Schule zu gehen. Fußballspielen, sein Lieblingssport, war zu einer unmöglichen Mission geworden. Während er im Bett lag, schaute er mir direkt in die Augen und sagte: „Mano, (was großer Bruder bedeutet) vielleicht wird mein Leben von Tag zu Tag herausfordernder. Ich fürchte, die Leute werden mich wegen meiner Behinderung entwerten. Bitte, kannst du etwas tun, um mir zu helfen, meine Träume im Leben zu verwirklichen?“ Ich antwortete: „Ich werde alles tun, um dir durch diese schwierige Zeit zu helfen. Dein Leben wird nie wieder so sein wie früher, aber trotzdem kann dich nichts davon abhalten, zu werden, was du möchtest.“

Das Echo eines Versprechens

Fast neun Monate sind vergangen, seit ich dieses Gespräch mit meinem kleinen Bruder hatte. Seine Worte hallen noch immer in meinem Kopf, wie ein General vor den Truppen, der Befehle gibt, denen niemand widersprechen sollte. An diesem Tag verstand ich, was es bedeutet, jeden Tag seines Lebens mit einer Behinderung zu leben. Früher ignorierte ich Menschen mit Behinderungen auf der Straße, aber jetzt konnte ich es nicht mehr. Ihr Kampf wurde zu meinem Kampf. Ihr Weinen wurde zu meinem Weinen und ihre Erfolge wurden zu meinem ultimativen Traum im Leben. Mein Bruder verstarb leider drei Monate nach diesem Gespräch.

Auf den Straßen: Verbindung zu Angolas Behinderten

Mit einer Mission im Kopf, die mir mein Bruder aufgetragen hatte, ging ich hinaus auf die Straßen, in Schulen, Kirchen und Nachbarschaften, um Menschen zu treffen, die vor dem gleichen Problem stehen. Das war eine sehr kraftvolle Erfahrung. Ich traf buchstäblich Supermänner und Superfrauen.

Marisas Geschichte: Vertrauen und Transformation

Eines Tages traf ich eine Frau namens Marisa Miguel Major. Zunächst wollte Marisa nicht mit mir reden. Sie sagte: „Ich bin es leid, dass Leute kommen und Unterstützung versprechen, aber nichts passiert. Ich bin es leid, dass man mich als Verliererin betrachtet, und du siehst aus wie einer von ihnen!“ Marisa war 34 Jahre alt und konnte nicht laufen. Ich verstand, dass sie jemanden suchte, dem sie vertrauen konnte, jemanden, der ihr Hoffnung geben konnte, was in der heutigen egoistischen Gesellschaft nicht leicht zu finden ist. Irgendwie entschied sie sich aber doch dazu, ihr Herz zu öffnen und mir zu vertrauen. Wir redeten etwa 30 Minuten und ich war sehr bewegt.

Die täglichen Kämpfe des Lebens: Marisas Realität

„Bist du so geboren?“ fragte ich, obwohl Traurigkeit meine Augen übernahm. „Nein, ich wurde nicht so geboren.“ antwortete sie. Ich vermute, sie ging in Gedanken zurück in die Zeit, als sie noch laufen konnte. Dann fuhr sie fort: „Schau, ich hatte das Privileg zu laufen, bis ich 19 Jahre alt war. Ich ging zur Schule, tanzte und trat auf. Ich bereitete mich darauf vor, mein Studium in Sumbe, mein Geburtsort, zu beginnen. Mein Traum war es, Schauspielerin zu werden. Aber dann bekam ich eine tragische Krankheit, die meinen Körper und mein Leben für immer ruinierte. Ich verließ die Schule, verlor meinen Job und meine Familie hatte nicht genug Geld, um meine Behandlung zu unterstützen!“

Ich wurde neugierig und wollte mehr über sie und ihr tägliches Leben wissen, aber ich hatte nicht den Mut zu fragen. „Du kannst jede Frage stellen, die du möchtest. Ich werde antworten! Du scheinst ein guter Junge zu sein“, lachte sie. „Danke! Ich kann einfach nicht verstehen, wie du es schaffst, den Alltag zu bewältigen“, antwortete ich.

„Das Leben selbst ist eine Herausforderung!“ begann sie. „Aber für uns, die wir mit eingeschränkter körperlicher Fähigkeit leben, ist alles schwierig. Angefangen bei dem Moment, in dem du aufwachst und verstehst, dass deine Behinderung immer noch da ist. Sich von einem Ort zum anderen zu bewegen, ist auch in meinem eigenen Haus ein großes Problem. Ich lebe mit meiner Schwester, aber manchmal ist sie nicht für mich da. Also muss ich mir vorstellen, dass meine Beine und Hände funktionieren. Ansonsten bewegt sich nichts. Die andere Herausforderung ist, Geld zu verdienen. Ich habe keinen Job. Ich habe mich für viele Jobs beworben, aber aufgrund meines körperlichen Zustands stellen mich die Arbeitgeber nicht ein. Und das ist sehr frustrierend!“

Kleine Akte der Freundlichkeit

Während wir redeten, versammelten sich viele Leute um uns und beobachteten uns. Mir wurde klar, dass es nur eine kleine Handlung braucht, um andere zu motivieren, einen Unterschied zu machen. „Glaubst du, dass diese Leute sich um dich kümmern?“ fragte ich sie.

„Ich glaube nicht! Vielleicht werden sie sich jetzt kümmern, weil sie gesehen haben, wie du mit mir redest!“ Als sie das sagte, kam ein junger Mann auf uns zu und bot ihr einen süßen Keks an, den sie sehr schätzte. Sie konnte es nicht glauben! Direkt nach diesem Mann fühlten sich auch andere Menschen berührt, zu helfen. Es war ein bewegender Moment. Als ich gehen wollte, hielt sie meine rechte Hand und sagte: „Bitte, Sohn, wo immer du hingehst, vergiss mich nicht. Ich brauche deine Hilfe.“

Bis heute stehe ich noch in Kontakt mit ihr. Ich habe beschlossen, mein Bestes bei kanthari zu geben, damit ich, sobald ich aus Indien zurückkomme, in der Lage bin, sie zu unterstützen. Ich weiss, dass ich es schaffen werde.

Paulos Widerstandskraft: Überwindung von Widrigkeiten

Marisa ist nur eine der außergewöhnlichen Menschen, die ich traf. Ein anderer ist Paulo Antonio, mit dem ich an der Agostinho-Universität in Luanda in Kontakt kam. Paulo ist die Personifikation von Widerstandskraft. Er wurde mit seiner Behinderung geboren, aber seine Mutter spielte eine entscheidende Rolle in seinem Studium. Als Schüler erlebte er alle Arten von Leiden. Mehrere Tage ohne Essen, kein Geld für medizinische Behandlung. Als Paulo zehn Jahre alt war, verlor sein Vater seinen Job und sie wurden aus ihrem Haus vertrieben. Gleichzeitig wurde seine Mutter krank. Niemand war da, um zu helfen, und das Leben wurde wirklich hart. Er sagte: „Das war die Zeit, in der ich entschied, dass ich trotz meiner körperlichen Verfassung nicht akzeptieren werde, als Versager bezeichnet zu werden.“ Er studierte Kunst und Unternehmertum und hat mit harter Arbeit und Ausdauer Erfolg in dem, was er tut.

Eine Vision für die Zukunft: Enoques ehrgeiziger Plan

Enoque will eine Organisation gründen, die Menschen mit Behinderungen Zugang zu Bildung, Transport und Arbeitsmöglichkeiten verschafft. Es ist eine soziale Plattform mit Werkzeugen wie einer Taxi-App, Büchern, Schulungsmodulen und Geschäftskontakten. Das Ziel ist es, sicherzustellen, dass jeder, besonders diejenigen im Alter von 12 bis 30 Jahren mit Mobilitätsproblemen, einen Beruf seiner Wahl findet und im Leben erfolgreich sein kann.

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