Stadt des Ruhmes

Geeta Dangol
2021 kanthari und Gründerin von Orange Butterflies

“Bumm!”

Was war das?

Es war an einem Samstag, früh am Morgen, als uns der ohrenbetäubende Knall aus dem Schlaf schüttelte. Meine Schwestern und ich waren noch in den Betten, als unser Vater in unser Zimmer eilte, um nach uns zu sehen. “Eine Bombe!”
Unser Haus war nicht weit entfernt, wir lebten damals direkt an der Hauptstraße, im Zentrum des Geschehens.

Jetzt hörten wir eine riesige Menschenmenge, die sich vor unserem Fenster versammelte. Angst lag in der Luft.

Ich wurde in Kirtipur geboren. Kirtipur ist in Nepal auch bekannt als die Stadt des Ruhmes. Unsere Stadt ist im Süd-Osten des Kathmandu Tals gelegen. Kathmandu ist die Hauptstadt Nepals.

Nepal war immer ein friedliches Land, das von dem mittlerweile verstorbenen König Birendra regiert wurde. Es galt für Einwohner und Touristen immer als sicheres kleines Land, bevor der Bürgerkrieg 1996 ausbrach.
Dann aber gab es überall Bomben-Explosionen. Wir, die Einwohner wurden verunsichert. Die politischen Auseinandersetzungen dauerten von 1997 bis 2006 an. Da die meisten Bomben mit Schnellkochtöpfen konstruiert worden waren, wurde der Begriff Schnellkochtopf ein Tabu. Während dieser Zeit war unser Leben auf den Kopf gestellt. Ob tägliche Aktivitäten, Ausbildung oder Arbeit, nichts funktionierte normal. Die Angst vor Anschlägen war überall greifbar.

Unsere Eltern, angesehene und geschäftstüchtige Persönlichkeiten in Kirtipur, erhielten fast täglich erpresserische Drohbriefe, die unter der Haustür durchgeschoben wurden. Es waren Forderungen nach Geld zur Unterstützung des Kampfes.

Wann immer wir draußen waren, oder von der Schule zurückkamen, waren meine Eltern in ständiger Sorge. Sie erlebten, wie mehr und mehr Bürger nach Kathmandu zogen, um sich der Gefahr zu entziehen. Und so entschieden sie auch, meine Schwestern und mich für unser Studium fortzuschicken. Wir wurden damals wie viele andere nach Indien für unsere Schul- und höhere Bildung gebracht. Nach meinem Studium begann ich in Indien zu arbeiten; später zog ich nach Frankreich, um meiner Schwester in ihrem Geschäft zu helfen.

Da aber meine Eltern alt wurden und Unterstützung brauchten, kehrte ich 2017 in meine Heimatstadt zurück. Aber jetzt war ich eine Fremde. Nach so vielen Jahren, in denen ich in Indien und Europa gelebt, studiert und gearbeitet hatte, fühlte ich mich in meiner eigenen Heimat verloren. Ich hatte keine Freunde, und ich konnte keine Verbindung zu den Menschen in meiner Umgebung herstellen.

Aber auch meine Heimatstadt hatte sich verändert. Früher war sie eine Touristenattraktion – schöne alte Gebäude, sauber gehaltene Straßen- aber jetzt, nach zwei Jahrzehnten, sah alles etwas verkommen aus. Überall gab es Müll, und die malerischen Reisfelder waren nun mit Betonbauten zugepflastert. Die Bevölkerung war inzwischen explodiert, aber die Einwohner litten unter dem Mangel an Arbeitsplätzen.

Familienväter und Söhne gingen ins Ausland, um Arbeit zu finden. In Ländern wie Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien, Malaysia, Japan und Korea wurden viele ausgebeutet. Auch die Frauen wollten das Land verlassen, aber aufgrund ihrer familiären Verpflichtung blieben die meisten Frauen ohne Arbeit zurück.

Ich war ebenfalls verzweifelt auf der Suche nach Arbeit oder einfach nur, nach einer sinnvollen Aufgabe. Aber ich war mir nicht sicher, was ich allein tun konnte. In der Zwischenzeit ermutigte mich mein Vater, andere Frauen kennenzulernen. Und so traf ich auf einem Fest, andere Frauen, die wie ich nach einer Aufgabe in Kirtipur suchten. Wir alle litten unter den Veränderungen in unserer Gemeinschaft und spürten, dass etwas getan werden musste, vor allem für und mit denjenigen Frauen, denen es noch schlechter ging als uns. Die die allein, arbeitslos und damit ausgegrenzt waren.

Wir beschlossen, etwas für unsere Gemeinde zu tun und starteten ein Trainingsprogramm für Frauen zum Thema Unternehmertum. Als ich das erste Mal aus dem relativ sauberen Europa zurückkam, war ich erschüttert über so viel Umweltverschmutzung in meiner Heimatstadt. Damals fühlte ich mich hilflos. Heute, mit unserem Team, hoffen wir, dass wir in der Lage sind, eine Veränderung zu bewirken. Neben der Unternehmerschulung bieten wir Abfallmanagement-Programme an. Dadurch wollen wir erreichen, dass unsere Stadt des Ruhmes wieder rühmlich aussieht.

Abfall und Verschmutzung ist ein Problem in Städten auf der ganzen Welt. Und obwohl Nepal sicher geworden ist, fürchten wir eine andere, globalere Bedrohung. Wir haben das Gefühl, dass wir alle auf einer tickenden Zeitbombe sitzen.

Geeta ist Teilnehmerin des 2021 kanthari Lehrganges. 

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