Steht auf! Von Not und Handlung

Solange Ndip Tanyi
2024 Teilnehmerin aus Kamerun
Solange wuchs im Dorf Munyenge in der südwestlichen Region Kameruns auf. Ihre Eltern waren Kakaobauern. Bereits in jungen Jahren wurde sie mehrfach vergewaltigt und von den Ältesten der Gemeinde zum Opfer gemacht. Durch Bildung hat sie ihr Leben wieder selbstständig in die Hand genommen. Ihre Organisation „kämpft dafür, dass das Wort “Vergewaltigung” nur noch als Erinnerung an eine Grausame Tat im Wörterbuch zu finden ist. Heute ist Vergewaltigung besonders in Kriegsregionen noch eine grausame alltägliche Praxis. von Solange Ndip Tanyi, Steht auf! Von Not und Handlung Und diesen Tag werde ich nie vergessen! Die Ältesten beschlossen, dass ich mit dem Täter leben musste… Mein Leben begann in Munyenge, einem kleinen Dorf im Südwesten Kameruns, ich war Kind einer fünfköpfigen Familie. Meine Kindheit war geprägt von ständigen Streitereien zwischen meinen Eltern, die mich verängstigt, und einsam zurückließen. Mein Vater, ein wohlhabender Bauer, trank oft und schlug meine Mutter, die versuchte, gegen seine verschwenderischen Ausgaben aufzubegehren. Die Nachbarn glaubten, dass ein Ehemann das Recht habe, seine Frau zu kontrollieren, und dass Frauen sowieso nur Eigentum des Mannes waren. Generell haben und hatten Frauen nichts zu sagen. Sie waren allein dafür bestimmt, Kinder in die Welt zu setzen und Hausarbeiten zu erledigen. Im Alter von 7 Jahren besuchte uns meine Tante aus der Stadt, die keine Kinder hatte, und nahm mich zu sich nach Hause. Da erfuhr ich Liebe und Unterstützung. Drei Jahre lang stärkte ich mich in ihrer Obhut, machte in der Schule gute Leistungen und erlebte eine liebevolle Familie. Aber das Schicksal hatte andere Pläne, und so kehrte ich nach dem Tod meiner Tante im Jahr 2009 nach Munyenge zurück, was mir nicht besonders gefiel. Ich hatte nun einen anderen Blick auf die Realität, denn ich wusste, dass Frauen qualitativ hochwertige Berufe wie Ärztin, Krankenschwester und Anwältin ausüben konnten. Ich wollte eine dieser Frauen sein. Ich hasste das Leben auf dem Dorf, weil ich dachte, das bessere Leben sei in der Stadt, und ich war fest entschlossen, zu studieren und meinen Traum zu verwirklichen. Als ich in die Pubertät kam, ich war 14 Jahre alt und besuchte die Sekundarschule, wurde ich von einer guten Freundin hereingelegt, die mich zu sich nach Hause mitnahm. Dort trafen wir einen anderen gemeinsamen Freund und sie ließ uns in ihrem Haus zurück, um Lebensmittel einzukaufen. Ich wusste nicht, dass ich in eine Falle getappt war, denn sobald sie aus dem Haus lief, wurde ich brutal vergewaltigt, und das von unserem gemeinsamen Freund! Nach dieser Erfahrung fühlte ich mich verloren, allein und verraten. Zwei Jahre später saß ich auf dem Weg ins Dorf im Bafia-Park fest. Ich wartete auf einen Bus. Ein Mann zeigte Einfühlungsvermögen und schien mir zu helfen, aber wieder wurde ich brutal vergewaltigt, was zu einer Schwangerschaft führte. Mein Vater nahm mich mit, um den Täter zur Rede zu stellen, aber anstatt ihn zu verhaften, beschloss eine Gruppe von Ältesten, dass der Vergewaltiger seine Verantwortung für mich und das Baby übernehmen sollte, und ich wurde gezwungen, zwei Jahre lang bei ihm zu leben und Schläge und Misshandlungen zu ertragen. Aber ich weigerte mich, mich von meiner Geschichte ins Aus drängen zu lassen. Mit 18 Jahren floh ich aus seinem Haus und kehrte zu meinen Eltern zurück, um aus dem Kreislauf der Gewalt auszubrechen. Ein Jahr später ging ich in Kumba wieder zur Schule, fest entschlossen, erfolgreich zu sein. Dort lernte ich einen hilfsbereiten Lehrer kennen, der mich ermutigte, eine Universität zu besuchen. Wir heirateten 2014, hatten ein liebevolles zuhause, und er war ein guter Vater für meine Tochter. Dann sah ich Sendungen wie America’s Got Talent und andere afrikanische Formate und ich wusste, ich konnte heilen und meine eigene Stimme finden. Ich wollte mit Musik und Kunst eine Botschaft vermitteln. Und so engagierte ich mich in der Gemeinschaft und nahm an Seminaren teil, die von Nichtregierungsorganisationen organisiert wurden. Da wurde mir klar, dass ich nicht allein war und dass es andere gab, die wie ich gelitten hatten. Ich begriff, wie wichtig es war, ein Ziel zu haben, und wie sinnvoll es sein würde, meine Erfahrungen zu nutzen, um das Leben anderer zu verbessern. Im Jahr 2022 lernte ich Lucien Yilareng kennen, der meine Vision teilte, mit Hilfe von Musik und Kunst gesellschaftliche Normen zu verändern. Gemeinsam begannen wir, an einem Projekt zu arbeiten, das sich mit Themen wie Vergewaltigung, häuslicher Gewalt und Geschlechterungleichheit befasst. Im März 2024 registrierte ich meine Organisation Solange Rising Star und besuche nun einen Kurs für “Impact leadership” und “social change” im kanthari Institut, in Indien, um meinen Einfluss zu verstärken. Im ländlichen Kamerun werden Überlebende von sexueller Gewalt oft durch Traditionen, die ihre Angreifer schützen, zum Schweigen gebracht. Fragen wie: „Was werden meine Eltern sagen? Wird meine Gemeinschaft mir glauben? Wird es Gerechtigkeit geben?“ quälten mich und diejenigen, die eine Anzeige in Erwägung ziehen. Älteste, die als Häuptlinge und Ratsmitglieder viel Macht haben, verhindern oft rechtliche Schritte gegen Vergewaltiger, indem sie Bestechungsgelder annehmen und Verhandlungen führen, die den Überlebenden langfristig schaden und wenig Unterstützung bieten. Weltweit haben 35 % der Frauen in irgendeinem Lebensabschnitt sexuelle Gewalt erlebt. In Kamerun haben die anhaltende Krise in den Regionen im Nordwesten und Südwesten und der andauernde Boko-Haram-Aufstand im äußersten Norden zu weit verbreiteter Unsicherheit, Vertreibung und erhöhter Verletzlichkeit geführt. Im Jahr 2019 dokumentierten die Vereinten Nationen 289 Fälle von sexueller Gewalt und Vergewaltigung in Kamerun. In der ersten Jahreshälfte 2023 wurden 2386 Vorfälle von Nutzern des (Gender Based Violence Information Management System) in den Regionen Nordwest, Südwest und Ferner Norden Kameruns gemeldet, davon 15,5 % oder 370 Vorfälle sexueller Gewalt. Trotz einiger Fortschritte wie der Nationalen Strategie der kamerunischen Regierung gegen geschlechtsspezifische Gewalt und der Bemühungen von NGOs wie der Kameruner Frauenfriedensbewegung erreichen diese Initiativen oft nur die ländlichen Gebiete, in denen es an Aufklärung und Lobbyarbeit mangelt. Kulturelle Normen, die der Familienehre Vorrang vor der Gerechtigkeit einräumen, ermöglichen es den Tätern, der Bestrafung zu entgehen, während die Überlebenden keine Unterstützung erhalten, die sie zur Heilung benötigen. Es fehlt an sicheren Räumen und zugänglichen Diensten, was die Opfer isoliert und sie mit ihrem Trauma allein sitzen lässt. Solange Rising Star ist eine in Kamerun ansässige Organisation, die von mir, einer Überlebenden sexueller Gewalt, gegründet wurde. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, Vergewaltigungen zu stoppen und eine Kultur des Einverständnisses, des Respekts und der Empathie zu fördern, wobei der Schwerpunkt auf ländlichen Gemeinden und Kriegsgebieten liegt. Um diese Ziele zu erreichen, werden wir die folgenden Maßnahmen durchführen – 24/7-Helpline: Überlebende können Fälle melden und erhalten sofortige Unterstützung, einschließlich Verbindungen zu medizinischer Versorgung, sicheren Unterkünften, psychologischen Diensten und Rechtsbeistand. – Einbindung der Gemeinschaft: Durch monatliche Gemeindetreffen und vierteljährliche Workshops in vier Gemeinden werden jährlich über 200 Mitglieder über Prävention und Unterstützung bei sexueller Gewalt aufgeklärt. – Schulclubs: SRS wird 20 Schulclubs in ländlichen und städtischen Gebieten einrichten, in denen Schüler über sexuelle Gewalt, Einwilligung und Selbstverteidigung aufgeklärt werden. Die Clubs werden sich monatlich treffen und jeweils 30 Schüler umfassen. – Besuche in Gefängnissen: bei Zweimonatlichen Besuchen in zwei Gefängnissen werden wir uns darauf konzentrieren, Täter zu reformieren, indem sie über Einverständnis aufgeklärt werden und nach der Entlassung eine Schulung für die Übernahme von Fürsprecher Rollen angeboten wird. – Back-to-School-Talentwettbewerb: Eine jährlich stattfindende Veranstaltung, bei der die künstlerischen Talente von Kindern vorgestellt werden, um das Bewusstsein für Gender-based-violence zu schärfen. Die Gewinner erhalten Teilstipendien und Schulmaterial. Langfristig wollen wir ein sicheres Zuhause für Überlebende schaffen und sie zu Aktivisten ausbilden, die sich um Vergewaltigungsfälle kümmern und das Bewusstsein durch Theater und Kunst schärfen. Das Training Programm wird einen dreimonatigen Kurs für Dorf-Oberste und Theater-Aktivisten anbieten, die sich auf Lobbyarbeit, Rechtsreformen, kreativen Ausdruck und Upcycling als Therapie konzentrieren. Heute stehe ich hier als Überlebende, die etwas verändern will, und setze mich dafür ein, dass „Vergewaltigung“ nur noch als Verb im Wörterbuch steht, aber nicht mehr praktiziert wird.

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