Tag 158 – Wie der Lockdown-Wahnsinn uns zu neuen Werkzeugen verhalf!

Sabriye Tenberken
Co-Gründerin von kanthari

(Von Chacko Jacob, kanthari-Katalysator)

Vor etwa einer Million Jahren entdeckte der Homo Erectus das Feuer und veränderte damit den Lauf der Geschichte.
Die damaligen Menschen erlangten die Kontrolle über etwas Gefährliches und Mächtiges und nutzten es zu ihrem Vorteil. Es half ihnen, sich in anderen, eher menschenfeindlichen Gegenden anzusiedeln.

Machen wir mal einen großen Schritt vorwärts. Die geschichtliche Verbindung zum Feuer mag weit hergeholt scheinen. Doch mit fortschreitender Lektüre wird die Parallele verständlich.

Bis vor kurzem hatten wir nur sehr wenige Werkzeuge zur Verfügung, um den Vellayani-See von den invasiven Pflanzen zu befreien. Die Existenz des Sees ist klar bedroht. Und aus Sorge um die Fortschreitende “Pest”, wuchs in uns das Feuer, man kann es auch mit “Lockdown-Wahnsinn” bezeichnen, den pflanzlichen “Kolonialisten” mit kritischer Wachsamkeit und Kampfgeist zu begegnen.

Wir sind mittlerweile wie besessen davon, grössere und bessere Werkzeuge herzustellen, um diesen Pflanzen durch Entwurzelung, Zerkleinerung und Ab-Transport den Gar auszumachen.

Um unseren Feuereifer besser nachvollziehen zu können, laden wir dazu ein, einen genaueren Blick auf die uns unwillkommene Flora zu werfen. Nur so werden die “Waffen”, die wir eigens zur “Bekämpfung der Widersacher” hergestellt haben, durschaubar.

Da ist erst einmal die brasilianische Wasser Hyazinthe, die sich im letzten Jahrhundert wie eine Karnevals Parade auf den Flüssen und Seen der Welt tummelt.

Es handelt sich um eine freischwimmende Pflanze, mit lauchförmigen Stielen, die bis zu einem Meter hoch aus dem Wasser ragen können. Unter der Pflanze gibt es lange schwarzbraune Wurzeln, die sich ebenfalls bis zu einem Meter tief unter der Wasseroberfläche erstrecken.

Sie verdoppeln sich in grosser Geschwindigkeit und können, gemeinsam lichtundurchdringliche Matten bilden. Das hat verheerende Folgen für alle anderen Pflanzen und für den Fischbestand. Denn da, wo die Wasser Hyazinthe wütet, kann Wärme nicht entweichen, wodurch die Wassertemperatur steigt. Dadurch verringert sich der Sauerstoffgehalt.

Und wie rücken wir diesen Übeltätern zu Leibe? Da gibt es zunächst den ‚Coronaberg‘ (im Andenken an den Schöpfer), ein einfacher Gehstock mit einem gekrümmten Griff.
Der lange Stock macht es leichter, die Pflanzen aus den von Schlangen besiedelten Uferböschungen in die Seemitte zu dirigieren. In der offenen Wasserfläche werden sie dann mit Hilfe eines Netzes zum Hyazinthen-Ablage-Platz transportiert. Später wurde aus dem einfachen Netz eine Kette von aneinander hängenden und auf dem Wasser treibenden PVC Rohren, die es uns möglich machten, grosse freischwimmende Hyazinthen Teppiche zu kapern.

Aber wie sollte man an diejenigen Pflanzen gelangen, die sich im Gewirr des Lotusgewächses verhaken?
Wenden wir uns der “heiligen” Lotus-Pflanze zu: “Ach wie schön!” hört man Besucher ausrufen, wenn sie die magischen, mit in der Sonne schillernden Wasserperlen bespielten, dunkelgrünen Blätter sehen. Und wenn dann noch die ein oder andere Blüte, wohlduftend und knallrosa aus dem grün herausleuchtet, gibt es für die Begeisterungsstürme kein Halten mehr. Was nicht gesehen wird, ist, wie es unterhalb der Blätterpracht aussieht. Knietief steht man in matschigen Ballen von verfaulenden Pflanzenteilen.

Hätten wir nicht schon vor einigen Jahren mit der Entwurzelung der Lotuspflanzen begonnen, wäre jetzt der See an vielen Stellen versumpft.

Die Lotus Pflanzen mit ihren riesigen Netzwerken von Wurzelwerk und mit den stachligen Stielen verletzen die Fische und dienen den Wasserhyazinthen als Anker. Damit wird das Rören-Transport-System nutzlos.

Und so wurde der “Whacker” geboren. Das ist ein nicht ganz ungefährliches Gerät, mit zwei Sägeblättern, die wir an ein altes Rohr geschraubt haben. Der Whacker hat ein Gewicht von 4,5 Kilogramm und einer Länge von 2 Metern. Am Ende des Rohrs ist ein langes Seil befestigt. Der Whacker wird über eine Hyazinthen Invasion geworfen, und das Gewicht zieht ihn nach unten. Jetzt wird es über den Seeboden gezogen und die Sägeblätter durchschneiden die mit Dornen gespickten Lotus Stiele.

Die kanthari Mitarbeiter waren erst einmal skeptisch. Aber, oh Wunder, es funktionierte!
Wir brachten bald grössere ‚Ernten‘ ein. Ernten, die eine Fläche von einem Mini-Fussballfeld aufweisen. Und immer noch waren wir nicht vollends zufrieden mit dieser, wie es für uns schien, fast mittelalterlichen Methodik. Wir wollten es grösser und besser!
So gut der Whacker auch ist, seine Operation erforderte viel Kraft für den Schnitt der Unterwasserpflanzen. Also machten wir uns auf die Entdeckung von neuen Technologien.

Paul, unsere treibende Kraft in der Werkzeug-Erfinder-Runde, entwarf sein erstes “Frankenstein-Monster”, einen etwa 4 mal 3,5 Meter langen Schwimmer, der eine eben solange Säge unter den Pflanzen durchzieht.
Der ’Frankenstein‘ wirkt, als würde er flügelleicht über die Hyazinthen hinwegschweben. Doch der Ernst findet im Unsichtbarem statt. Wie ein erhitztes Buttermesser, schneidet der Frankenstein durch alles, was sich über den Boden befindet. Und im Nu sind die Hyazinthen frei und können, gemeinsam mit den Lotus-Pflanzen eingesammelt werden.
Die Fische freuen sich über neu gewonnenes Tageslicht und die Wasserqualität wird täglich, für alle sichtbar, klarer.

Obwohl die See-Säuberungen anstrengen, wir empfinden sie nicht als Arbeit.
Es handelt sich um ein liebgewonnenes Hobby, dass sich allerdings positiv auch auf den Rest des Sees auswirkt. Unsere Nachbarn auf der anderen See-Seite haben bereits bemerkt, dass mehr Wasser zu sehen ist und wir alle spüren, dass der Wind, der über die Oberfläche streicht, sehr viel kühler auf Land trifft.

Wenn die körperliche Aktion vollbracht ist, Schwimmen wir noch ein bisschen, mit Blick auf den wunderschönen Sonnenuntergang und auf den See, den wir nach und nach zurückerobern. Und als Belohnung gibt es von unseren Köchen mit Liebe gekochte Malzeiten.

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