Tag 16

Sabriye Tenberken
Co-Gründerin von kanthari

In einer Krise sind besonders diejenigen benachteiligt, die nicht über die normalen Medienkanäle informiert werden können. Es geht um eine gesellschaftliche Umwelt, in der eine vollkommen andere Sprache gesprochen wird. Wir leben im südindischen Kerala, wo man hauptsächlich Malayalam spricht. Mein Malayalam ist nicht gut genug, Detailinformationen in Radio und Fernsehen zu verstehen, geschweige denn einen Artikel in Malayalam-Buchstaben zu lesen. Zum Glück gibt es englischsprachige Zeitungen, sonst wären wir beide aufgeschmissen.

Ich kann mir nicht ausdenken, wie man sich fühlen muss, wenn man in einer Zeit, in der die Welt sich, wie jetzt, fast täglich grundlegend verändert, von allen Informationen abgeschnitten ist.

Faruk Musema aus Uganda, ein 2019 -kanthari, machte uns vor einigen Wochen auf eine seiner Zielgruppen aufmerksam, die zwar Teil der Gesellschaft ist, aber sobald es zu schnellem Informationsaustausch kommt, vollkommen ins Hintertreffen gerät. Es geht um die vielen Gehörlosen seiner Region, die noch bis vor wenigen Wochen zwar spürten, dass sich irgendetwas veränderte, aber da sie nicht ausreichend informiert wurden, nicht verstanden, worum es sich dabei handelte. Da die meisten unzureichend oder gar nicht lesen können, ist ihre Kommunikation mit ihrer Umwelt zusätzlich eingeschränkt.

Faruk ist in seiner Region im Norden Ugandas der einzige Hörende, der fließend lokale Gebärdensprachen beherrscht. Er gründete „Ability Sports Africa“, eine Organisation, die mit Blinden, Rollstuhlfahrern und Gehörlosen arbeitet und sich besonders im Behindertensport engagiert.

Fasziniert von Sportarten, die, wie er sagt, einem die Grenzen des Möglichen offenbaren, erinnert er sich an sein “Aha”-Erlebnis (wir sprechen auch von einem “pinching point”, der in einem besonderen Moment im Leben alles neu bestimmt). Er stand vor Jahren einmal am Rande eines Sportfeldes und beobachtete Rollstuhlfahrer beim Basketballspiel. Begeistert erinnert er sich noch heute: “Die Sportler waren so schnell und geschickt, wie sie sich drehten, manchmal auf einem Rad um die Kurve pesten. Das wollte ich auch können.”

Er versuchte es und scheiterte zunächst kläglich. Viele Male legte er sich auf die Nase und hatte Schwierigkeiten, den Ball zu balancieren und dabei den Rollstuhl zu kontrollieren. “Im Vergleich mit den Profi-Rollstuhlfahrern war ich behindert. Aber heute fühle ich mich gut integriert.”

Faruk bezeichnet sich selbst als “Walker. Sein Ziel ist die “Reverse Inclusion”, die umgekehrte Inklusion.
Mit dem Wort “Inklusion” hatte ich im Zusammenhang mit Behinderung immer ein Problem. Bedeutet es doch, dass die Gesellschaft Menschen mit Behinderungen gnädig in ihre Mitte holt, und da im wahrsten Sinne des Wortes einschließt (inkludiert). Wir, die Betroffenen, sind damit von der Großzügigkeit der nicht Behinderten abhängig und können uns selbst kaum mehr einbringen. Ich persönlich nutze daher lieber den Begriff “Integration”. Geht es doch hierbei um Gleichberechtigung, auch gegenseitige Bereicherung oder sogar Vervollkommnung. Doch Faruk überzeugte mich von einer neuen Perspektive, die “Umgekehrte Inklusion”.

“Wäre es nicht großartig, wenn die paralympischen Spiele nicht mehr von oben herab mit Wohlwollen belächelt würden, sondern wenn Zuschauer verstünden, dass es da um ganz spezielle Herausforderungen geht?”
Ich stimme ihm vollkommen zu, finde aber, dass es im Sinne der Gleichberechtigung dann auch wichtig wäre, die “Gehenden”, “Hörenden” und “Sehenden”, falls sie sich qualifizieren, umgekehrt bei den Wettkämpfen zu integrieren.

Faruk könnte einer der ersten Nichtbehinderten sein, der in den verschiedenen Behinderten-Sportarten konkurrenzfähig wäre. Er spielt neben ‚Rollstuhl-Basketball‘ auch ‚Showdown‘, eine Art Tischtennis für Blinde und Fußball für Gehörlose. Natürlich immer entsprechend eingeschränkt mit Augenbinde und Ohrenklappen.

Jetzt, in diesen Zeiten der Pandemie, wurde auch in Uganda der Mannschaftssport eingestellt. Faruk sieht nun seine Aufgabe darin, eine Kommunikationsbrücke einzurichten. Über Kurzvideos in Gebärdensprache informiert er Gehörlose in ganz Nord-Uganda. Da viele noch nichts Genaueres über die Ausgangsperre wissen und wie sonst arglos spazieren gehen, sich mit Freunden treffen oder auch in der Stadt einzukaufen versuchen, bringt er überall Poster mit Zeichensprache in Bildform an. Darüber hinaus stellt er Flüssigseifen her und beliefert bevorzugt Familien mit Gehörlosen.

Faruk sagt, “In Zeiten von Krisen vergessen wir oft diejenigen, die unsichtbar sind, weil sie sich nicht sprachlich äußern können. Wir brauchen in Zukunft schnelle Interventionen, damit niemand durch mangelnde Information ausgeschlossen wird.”

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