Es hat sich im letzten Jahrzehnt weltweit eine recht Argwöhnische Haltung gegenüber nicht-Regierungsorganisationen eingestellt. Im Kontakt mit vielen kanthari Absolventen spürten wir, dass die Luft besonders für “Grass Root” (Graswurzel) Initiativen in Ländern Africas und Asiens immer dünner wurde. Viele Regierungen machten NGOs für das Elend in ihren Ländern verantwortlich und erließen Gesetze, die besonders kleine Organisationen an den Rand existentiellen Überlebens trieb.
Konzerne, die sich zum Beispiel in ihren Umweltpraktiken von Aktivisten auf die Finger geklopft sahen, sprangen gerne auf diesen Zug auf. Soziale- und Umweltinitiativen wurden in der Öffentlichkeit als korrupt bezeichnet, wohlmöglich, um von eigenen undurchsichtigen Praktiken abzulenken.
Durch Corona scheint sich jedoch die schlechte Stimmung umzukehren. Kürzlich las ich einen Artikel, in dem die indische Regierung den vielen sozialen Initiativen im Land für die effektive Soforthilfe dankte. Besonders die “Community based organisations” werden plötzlich mit Wohlwollen und nicht mehr mit mistrauen beurteilt. Ist das ein erstes Eingestehen, dass Regierungen weltweit auf die in der Kommune integrierten Initiativen besonders in Krisenzeiten angewiesen sind? Können Community Based Organisations von nun an darauf hoffen, in ihrer wichtigen Arbeit ernstgenommen zu werden?
Ich möchte in diesem Zusammenhang eine Community Based Organisation vorstellen.
Es handelt sich um Durian. Ja ganz richtig, Thailandreisende wissen: Durian ist der Name einer tropischen Frucht, die zunächst einmal durch ihren penetranten Geruch alle Obstliebhaber in die Flucht schlägt. Derjenige, der sich überwinden kann, doch einmal zu probieren, wird den Wohlgeschmack niemals vergessen.
Tony Joy wählte also “Durian” als Name für ihre Organisation, die sich um Kommunen in abgelegenen Gegenden Nigerias kümmert. Warum?
“In meinem Land hat der Begriff “rural”, (abgelegen) kein gutes Image. Wir sind mit dem Glauben aufgewachsen, dass “Rural” für Schmutz, Gestank und Armut steht. Ja, Menschen in abgelegenen Dörfern sind im Allgemeinen arm und ungebildet. Und wie in der Landwirtschaft üblich, kann es auch mal derbe stinken. Aber es sind doch die Städte, die im Müll ertrinken! Um Armut zu bekämpfen, müssen wir erst einmal unsere Einstellung zu “rural” ändern.
Ich sage: rural ist cool. Es mag stinken, wie die Durian Frucht, aber wenn man sich einmal traut, wirst Du von den ungeahnten Möglichkeiten überrascht sein.”
Wie viele kantharis hat auch Tony Joy eine Vorgeschichte. Sie ist im wahrsten Sinne des Wortes eine “Überlebende”. Mit 13 warf sie sich vor ein Taxi, um sich das Leben zu nehmen. Das klappte nicht, denn der Taxifahrer hatte zu gute Reflexe.
Ein Jahr zuvor war ihr Vater gestorben. Sie trauerte so stark, dass die Mutter sie aus Eifersucht aus dem Haus warf. In Träumen hört sie heute noch die Stimme ihrer Mutter: “You are waste” (Du bist Müll, Du bist zu nichts nutze). Wer Tony Joy kennt, weiß, wie gelassen sie über die Beleidigungen, die sie in ihrer Kindheit ertragen musste erzählen kann. Die Frage ist, was hat sie bloß so stark gemacht?
“Es hat mir als Teenager schon eine Menge ausgemacht. Aber ich habe irgendwann den Begriff “waste” für mich akzeptiert.”
Tony Joy glaubt, dass sie durch Kreativität, durch Musik, Dichtung und Gestaltung ihr Selbstbewusstsein zurückgewonnen hat.
Noch bevor sie zum kanthari Institut kam, hatte sie eine Zeitlang auf einer Müllkippe gelebt und gemeinsam mit Müllsammlern aus Abfall Gebrauchsgegenstände und kleine Kunstwerke gebastelt. Die Objekte verkauften sie und so konnten sie überleben.
“Waste hat einen wert. Und dieser Gedanke hat mich gestützt.”
Im Jahr 2017 kam sie ans kanthari Institut und wurde, wie alle Teilnehmer in einen Prozess der Konzept Transformation geworfen. Wir nennen es auch die “Waschmaschine”, eine für viele emotional recht anstrengende Zeit, in der sie ihre Konzepte für ihre soziale Initiativen auseinandernehmen, kritisch betrachten und neu zusammensetzen müssen. Es ist schon schmerzhaft, liebgewonnene Ideen kritisch zu hinterfragen und eventuell sogar zu verwerfen.
Wenn aber der Waschvorgang abgeschlossen ist, fühlen sie sich oft wie neu geboren. Dann werden sie selbst zu ihrer Idee, eine erhebende Phase für alle Beteiligten.
Ich erinnere mich noch gut an die Zeit, in der Tony durch die Waschmaschine gedreht wurde. Und während die einen wütend mit Türen knallten, plötzlich wie aus dem Nichts heraus in Tränen ausbrachen oder sogar zu Lachen anfingen, gehörte sie eher zu den Schweigenden. Ausgerüstet mit einer Schwimmweste, trieb sie damals stundenlang in unserem Vellayani See und da entstand Durian, eine Initiative zur Dorfentwicklung.
Dafür hatte sie eine bestimmte Kommune im Blick. Es handelte sich um ein Dorf mit arbeitslosen Jugendlichen, betrunkenen Männern und hoffnungslosen Frauen, die ihren Kindern keine solide Schulbildung bieten konnten. Doch dieses Dorf hatte einen Schatz, der von niemandem wirklich erkannt wurde. Überall wächst Bambus. Bambus ist ein Gras, dass sich wie Unkraut vermehrt und ebenso schnell wächst. In vielen Ländern wird darum Bambus auch als lästiges Unkraut missachtet. Dabei wird schnell übersehen, was Bambus alles leisten kann.
Tony machte sich schlau und verwandelte in wenigen Jahren, eine vernachlässigte Kommune in einen Hotspot für Bambus-Produkte. Zunächst starteten sie mit der Verarbeitung von Bambus zu Schmuck und Geschirr. Dann ging es weiter mit Möbeln.
Geplant ist nun auch der Bau einer mehrstöckigen Schule mit Werkstätten, natürlich konstruiert aus Bambus. Und dann wird es Bambus Blindenstöcke, Bambus Fahrräder und sogar Bambusseide geben. Und wer noch immer nicht genug hat, kann auch mal kandierten Bambus und natürlich Bambussprossensalat probieren 😉
Zur Zeit, dreht sich das Durian Team durch eine weitere Waschmaschine. Die Bambus Produktion wurde zwischenzeitlich eingestellt und nun produzieren sie neben notwendigen Nahrungsmitteln auch ihre eigene Seife, hergestellt aus Kakauschalen-Abfällen.
Durian und der Bambus hat die Kommune bereits bekannt gemacht und die Menschen, die sich zuvor eher für ihre Herkunft geschämt haben, können heute mit Selbstbewusstsein Sagen: “Rural ist Cool”.
Tony rät heute allen kanthari Teilnehmern, sich der Transformationswaschmaschine voll und ganz hinzugeben. “es lohnt sich, gedreht und geschleudert zu werden. Wenn wir uns nicht dagegen sträuben, haben wir die Chance für etwas ganz Neues.”