Tag 242 – Eine Suche nach Kinderliteratur in Tamil

Sabriye Tenberken
Co-Gründerin von kanthari

Von Akila Surendran

Als Kind bin ich mit englischen Kinderbüchern groß geworden. Da gab es die Ladybird-Serie, Disney Märchen, Aesops Abels und Geschichten von Enid Blyton.

Aber ich habe auch Erinnerungen an die Geschichten, die mir meine Großmutter in Tamil erzählt hat. Es waren faszinierende Geschichten aus der hinduistischen Mythologie. Geschichten, die meine Fantasie nährten und belebten. Diese Erzählungen prägten meine Perspektiven und mein Verständnis von der Welt.

Ich erinnere mich auch noch gut daran, dass sich mein Vater beschwerte, weil ich zu viele Bücher aus der westlichen Kultur lesen würde. “Das Zeug” würde nicht unsere eigene Gesellschaft und unsere Werte widerspiegeln. Damals habe ich seine Befürchtungen nicht wirklich verstanden. Rückblickend verstehe ich aber, dass die ausländische Kinderbuchlektüre ausschlaggebend für mein “duales Weltbild” ist. Dadurch war ich nie richtig in der Lage, mich mit einer der beiden Welten fest zu verbinden.

Die westliche Kinderliteratur gab mir das Gefühl, dass mein eigenes Leben unvollständig sei und ich hatte Sehnsucht nach einer anderen Realität. Noch während meiner Studienzeit im Ausland, sehnte ich mich nach dem Leben, dass ich aus den Büchern kannte.

Zurück in die Gegenwart: Meine Tochter Nila ist jetzt vier Jahre alt und wir freuen uns jeden Tag auf unsere ‘Lesezeit’.

Lesen bedeutet für Nila, zuzuhören und mir dabei zuzusehen, wie ich ihre Lieblingsfiguren zum Leben erwecke. Für mich bedeutet es gemeinsame Stunden mit ihr zu verbringen. Zusätzlich werden die Bilder meiner Kindheit wiederbelebt. Heute lese ich die Bücher als Elternteil aus einer ganz neuen Perspektive.

Wir begannen mit Eric Carle und Julia Donaldson und machten weiter zu Ruskin Bond, Roald Dahl und schließlich, als Nilas Fähigkeit wuchs, komplexe Handlungsstränge zu verstehen und sich daran zu erinnern, nahmen wir uns Enid Blyton vor.

Ich gebe zu, dass Nila wie ich Enid Blyton anderen Büchern vorzieht, hat sicher mit meinem Einfluss zu tun. Natürlich erzähle ich ihr diese Geschichten mit viel Elan und sie reagiert mit gleicher oder sogar noch größerer Energie. All diese Bücher, so teuer sie auch sind, sind eine lohnende Investition. Sie sind bunt, inspirieren die Fantasie, sorgen für eine gute Grundlage der englischen Sprache und fördern Werte wie Teilen und Inklusion.

Seit einiger Zeit halte ich, mit bisher wenig Erfolg, Ausschau nach ähnlichen Büchern in Tamil oder Malayalam. Ich greife jetzt auf englische Bücher zurück und übersetze diese. Ich wünsche mir ähnliche Bücher in unserer Muttersprache, die Nilas Grosseltern ihr vorlesen können.
Sie erzählen Nila ihre traditionellen indischen mythologischen Geschichten – und ich befürchte, dass hier die Büchse der Pandora geöffnet wird. Klar, diese Geschichten sind Teil unserer Kultur. Ich selber bin mit diesen Geschichten aufgewachsen und habe sie geliebt. Aber heute sehe ich sie in einem anderen Licht. Ich sehe die Gewalt, das Patriarchat, “Macht hat Recht” und besonders die unrealistische Schwarz-Weiß-Charakterisierung.

Nun, ich kann meine Kinder nicht ewig davor schützen. Aus diesem Grund muss ich dafür sorgen, dass diese Geschichten so eingesetzt werden, dass sie auf die Kräfte in unserer Kultur aufmerksam machen. Dass ihre ihre Fähigkeiten zur Selbstbeherrschung und zum Widerstand geschult werden. Das funktioniert wie folgt: Nila hört sich die Geschichten zunächst einmal an. Dann gibt es ein Gespräch oder auch längere Diskussionen, in denen wir die eigentliche Kinderliteratur mit diesen Geschichten vergleichen. Oft zerbreche ich mir den Kopf, ob das zvielleicht doch zu viele Informationen für eine Vierjährige sind. Aber ich bin immer wieder erstauntwie Nila alles aufnimmt und zu ihren eigenen Schlussfolgerungen kommt.
Zurück zu Enid Blyton: Ich sehe auch meine Lieblings-Kinderbuchautorin heute in einem anderen Licht.

Sie verstärkt die Ansicht, dass Mädchen gerne nähen und immer aufräumen, während Jungen sich um sie kümmern.
Wir lesen weiterhin die Blyton-Bücher, aber ich versuche diese Stereotypen herauszufiltern. Es bleiben aber noch immer eine ganze Menge Spass, Essen und Abenteuer
Was aber, wenn Nila diese Bücher selber lesen kann und sich fragt, warum Amma ihr diese Geschichten ganz anders präsentiert hat?

Ich freue mich darauf, Werke von Azha Valliappa (einer Kinderdichterin) zu kaufen, die einige Bücher in Tamil und Malayalam-Geschichten von https://storyweaver.org.in/ gedruckt hat.
Eigentlich könnten Nila und ich auch anfangen, unsere eigenen Geschichten in Tamil zu schreibe. So könnten auch andere Kinder sie lesen!

— Unsere Freundin Akila stammt aus Madurai, einer Stadt in Südindien wo das Altertum und die Moderne nebeneinander existieren. Ihre Ausbildung in Naturwissenschaften hilft ihr, die beiden Welten objektiv zu betrachten. Ihre Arbeit mit Menschen mit Behinderungen gibt ihr eine breite Perspektive auf menschliche Fähigkeiten, gesellschaftliche Determinanten und wie moderne Technologie Verhaltensmuster katalysieren kann.
Akila hat einen eigenen Blog. Weitere Einträge von Ihr finden Sie hier: 

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