Eine Reise zurück in die Heimat

Nematullah Ahangosh
2021 kanthari und Gründer von Stretch more

(Dieser Artikel war Teil seiner kanthari Bewerbung)

Ich erinnere mich an einem Sommertag, ich war 13 Jahre alt. Es war ein Tag, an dem ich nichts auf der Straße verkaufen konnte. Ich war hungrig, müde und musste eine lange Strecke laufen, um nach Hause zu kommen. An jeder Straßenecke kam ich an kleinen Restaurants vorbei und die Düfte vom Afghanischen Kabab stiegen mir in die Nase. Doch ich hatte weder Geld für Kabab noch für mein Busticket, und so musste ich sieben KM zu Fuß laufen.
Ich fragte mich, warum ich so langsam war. Selbst kannte ich die Antwort nicht. Bis ich von anderen als “Behinderter” und sogar als “Krüppel” bezeichnet wurde. Andere machten sich lustig über mich, sie meinten, es sähe so aus, als würde ich tanzen und nicht normal gehen.

Als ich an diesem Tag zu Hause ankam, wollte mir meine Mutter etwas Gutes tun. Sie wollte für mich kochen, aber es gab an dem Abend nichts, denn sowohl mein Bruder als auch ich hatten kein Geld verdient. Und meine Familie war mit 6 Köpfen von unserem Verdienst abhängig. Nur selten konnten wir uns drei Malzeiten am Tag leisten. Ich schlief in dieser Nacht mit leerem Magen, aber ohne Protest.

Die Tage vergingen, mein Gleichgewicht und meine körperlichen Fähigkeiten ließen nach. Damals wandte ich mich an meine Mutter und bat um Hilfe.
Sie half mir, in anderer Weise, nämlich sie sorgte dafür, dass ich die Schule wieder aufnehmen konnte. Trotz des Protests meines Vaters und meines älteren Bruders. 2016 half mir der Jesuit Refugee Service (JRS), eine internationale NGO, von Kabul aus zur medizinischen Untersuchung nach Delhi auszufliegen. Damals wurde eine seltene Krankheit namens Muskeldystrophie diagnostiziert.

Heute, wo unsere finanzielle Situation besser geworden ist, schaue ich zurück und erkenne, dass ich durch all das, was ich erlebt habe, unabhängig wurde und in der Lage war, mein Leben auf meine Art zu leben. Armut, Behinderung und harte Zeiten haben mich stark gemacht, meinem Traum zu folgen.

Da ich an Muskeldystrophie leide, möchte ich, dass diese Krankheit das Hauptaugenmerk meines zukünftigen Projekts wird. Daneben wird sich mein Projekt auch mit dem Unterrichten von Straßenkindern, und der Förderung von Frauen beschäftigen.

Ich glaube, ich wurde dazu geboren, um dieses Traumprojekt zu realisieren.

Leute mögen glauben, dass ich durch harte Zeiten gegangen bin. Aber ich würde diese eher als gute Erfahrungen bezeichnen. Denn eigentlich ging es um Lehrstücke für mein zukünftiges Leben. Klar, es gab immer mal wieder Rückschläge. Aber sie haben mich nicht behindert und konnten mich nicht lange entmutigen. 

Vielleicht lag es daran, dass ich immer gerne lernen wollte. Und ich befinde mich immer noch auf dem langen Weg zur “Weisheit”. Es ist eine lange Reise, eine Reise die mich nicht weit weg, aber weiter bringen wird.

Wenn andere mich beurteilen, dann sehen sie vor Allem meine Behinderung und für sie ist Behinderung das nicht Vorhandensein von Fähigkeiten. Für mich ist Behinderung Fähigkeit, ich bin in der Lage, alles zu erreichen. Auch meinen Traum. Und hier ist der zentrale Punkt meiner Motivation: Meine Fähigkeiten in Bezug auf Behinderung bestehen darin, psychisch stark zu bleiben, mich anzupassen, mein Potenzial zu entfalten, Gleichgesinnten dasselbe mitzugeben und Mitgefühl zu haben, um anderen wie mir zu helfen, sich selbst zu helfen.
Während meines Studiums der Sozialarbeit in der Madras School of Social Work, hatte ich die Gelegenheit, einige Projekte für Behinderte Kinder und NGOs zur Frauenförderung zu besuchen. Im Laufe des Kurses änderten sich meine Ideen immer wieder, bis ich mir eingestehen musste, dass ich wirklich am Thema Muskeldystrophie arbeiten möchte. Erstens bin ich selbst davon betroffen. Und da niemand sonst in Afghanistan mit diesem Problem befasst ist, habe ich hier meine Nische gefunden.

Ich möchte etwas für meine Heimat Region tun. Da stellen sich mir die folgenden Fragen: Sollen die Kinder meiner Gemeinde aufgrund mangelnden Gesundheitsbewusstseins leiden, so wie meine Familie und ich damals gelitten haben? Wie kann ich denen helfen, die aufgrund von Muskelkrankheiten und Armut vernachlässigt werden? Habe ich das Zeug dazu, etwas dagegen zu tun?

Nun, die Antwort ist, ich fange einfach mal irgendwo an. Ich möchte meiner Heimat etwas zurückgeben, denn die Menschen um mich herum haben mir als Kind viel gegeben. Ganz egal ob gut oder schlecht. In meinem Fall war es größtenteils gut.

– der 2021 kanthari Kurs hat begonnen und Nematullah ist auf dem Weg, seine Idee zu verwirklichen.

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