(Von Chacko Jacob)
In den letzten Tagen machte Kardinal Konrad Krajewski, der “päpstliche Almosengeber”, Schlagzeilen, als er einer kleinen Gemeinschaft von transgender Frauen in der Nähe von Rom Geld überwies.
Die Ausgangssperre hat ihre Haupteinkommensquelle – die Prostitution – beeinträchtigt. Diese kleine Gemeinschaft musste um Nahrung kämpfen, denn sie wurde von der italienischen Regierung nicht wahrgenommen. Viele verstecken sich vor den Autoritäten aufgrund fehlender Dokumente. Jetzt aber war die Not so groß, dass sie einen katholischen Priester um Hilfe baten. der wiederum überwies sie an den Kardinal. Krajewski hielt die Tat für nicht berichtenswert und nannte sie “gewöhnliche Arbeit” in Ausübung seiner Pflichten.
Könnte dies ein Vorzeichen einer entscheidenden Geistesveränderungen sein?
Ein Sprung nach Virudhunagar, einer Stadt in Tamil Nadu, Indien.
Über mehreren Dörfern des Bezirks verstreut, lebt eine Transgender-Gemeinschaft, die ähnlich wie die Gemeinschaft in Rom in existentieller Weise von der Ausgangssperre betroffen ist. Um überleben zu können, sind die Transgender in Virudhunagar, wie auch in anderen Staaten Indiens, auf Betteln, Tanzen, Sexarbeit und Hochzeitsauftritte angewiesen.
Daher sind sie oft Opfer von sexueller Gewalt und körperlicher Misshandlung. Aufgrund ihres besonderen Auftretens müssen sie täglich Beleidigungen ertragen.
Diese spezielle Gemeinschaft, die traditionell einst hohe Positionen an den Königshöfen innehatte, Wurde mit der Besetzung durch die Briten diskriminiert. Auch mit der Unabhängigkeit blieb sie weiterhin im gesellschaftlichen Abseits, und wurde sogar kriminalisiert.
Obwohl jüngste Gesetze langsame Veränderungen versprechen, liegt noch ein langer Weg bis zur vollkommenen Akzeptanz vor uns.
Und hier kommt Parthasarathy Kandasamy, Gründer von ARAVANS und kanthari-Absolvent von 2016, ins Spiel.
Partha arbeitet in Virudhunagar mit der LGBTQI-Gemeinschaft. (LGBTQI steht für Lesbians, Gay, Bisexual, Transgender, Queer und Intersexual)
ARAVANS kümmert sich besonders um ältere Mitglieder der LGBTQI-Gemeinschaft, unterstützt sie finanziell, engagiert sich für gesetzliche Gleichberechtigung und organisiert alternative berufliche Optionen für die Gemeinschaft. Die momentanen Gegebenheiten machen es ARAVANS schwer, die regulären Aktivitäten aufrecht zu erhalten.
In Indien bekommt jede Familie theoretisch eine Lebensmittelkarte, mit der man für minimale Kosten oder sogar kostenlos alle Grundnahrungsmittel erwerben kann. Doch unter den Transgender gibt es nur wenige, die über eine solche Karte verfügen, denn viele sind aus ihren Familien ausgestoßen und haben keine Dokumente.
Diejenigen, die im Besitz eines Ausweises sind, haben Anspruch auf eine finanzielle Entlastung in Höhe von 1’000 Rupien, das sind etwa 12 €, sowie fünf 5 Kilogramm Reis und Dal nur für den Monat April. Dies stellt alle, insbesondere aber die HIV-Positiven, vor große gesundheitliche Herausforderungen. Gesunde Ernährung ist besonders für HIV-Positive wichtig. Ohne nahrhaftes Gemüse und ohne eine Vielzahl von Hülsenfrüchten und Getreidesorten geht die Fähigkeit, Medikamente aufzunehmen und ein gesundes Gewicht zu halten, allmählich verloren.
Erst als man sich beschwerte, wurden die 1’000 Rupien an Personalausweis-Hältern ausgezahlt. Jetzt aber wurde Partha von der Regierung angesprochen, eine Liste mit Angehörigen der LGBTQI-Gemeinschaft vorzulegen, die weder Ausweise noch Bankkonten besitzen.
Partha bekam nun auch einen Passierschein, damit er sich trotz Ausgangssperre um seine Zielgruppe kümmern kann. Er bringt ihnen Nahrungsmittel und versorgt sie mit wichtigen Informationen.
Das Beratungstelefon von ARAVANS läuft ebenfalls auf Hochtouren. Partha und sein Team sind überlastet, vor allem da die Mitglieder der Gemeinschaft in den Dörfern in und um Virudhunagar weit verstreut leben. Die Freiwilligen, die sich ihm hin und wieder anschließen, können wegen des Lockdowns nur einen Tag ihrer Zeit opfern. Da zurzeit alle anderen medizinische Probleme, die nicht unter Covid-19 fallen, eher vernachlässigt werden, werden besonders kranke Transgender von den Ärzten abgewiesen. “Kommen Sie doch bitte nach dem Lockdown wieder zurück“… Partha versucht, Ärzte zu finden, die bereit sind, Mitglieder der Transgender-Gemeinschaft ohne Vorurteile zu behandeln.
Am Ende unseres Telefongesprächs, fragte ich ihn zögerlich, ob es irgendwelche positiven Aspekte der Situation gäbe. Er hielt eine Weile inne und zerbrach sich den Kopf, um etwas zu sagen. Nach langem Schweigen brach er in Gelächter aus und sagte: “Nun, mir fällt wirklich kein positiver Aspekt ein, ich kann nur sagen, dass der Alkohol- und Tabakkonsum und der Sex ohne Kondome durch den Lockdown zurückgegangen sind! Aber natürlich bedeutet kein Sex, kein Lebensunterhalt.” Das ist in der Tat ein Teufelskreis.
Parthas Vision ist die Einrichtung eines genderfreien Dorfes, in dem alle Menschen, unabhängig ihrer Orientierung, ihrem Geschlecht oder ihres Genders Freiheit, Zugang zu Bildung, guter Gesundheitsversorgung, einem besseren Lebensumfeld und einer diskriminierungsfreien Gemeinschaft genießen können. Die Gemeinschaft würde in umweltfreundlichen Häusern leben, ökologische Landwirtschaft und Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen praktizieren, solidarisch vereint sein und viele Möglichkeiten für den Lebensunterhalt schaffen.
Das scheint noch weit entfernt von der gegenwärtigen Situation zu sein. Aber warum nicht, der Wechselwind weht zurzeit überall. Spüren Sie ihn?