Tag 51 – Es ist okay zuzugeben, dass ich nicht okay bin!

Sabriye Tenberken
Co-Gründerin von kanthari
Anand

von Anand Mathew, ehemaliger Praktikant

Ich komme aus einer kleinen Stadt namens Kottayam im Bundesstaat Kerala. Hier hatten wir relativ viel Glück. Während der ersten Virus-Welle Anfang des Jahres gab es in unserem gesamten Bezirk nur drei oder vier Krankheitsfälle. Gerade als am 23. April die Reisebeschränkungen für Kottayam aufgehoben wurden und wir uns glücklich mit einem Seufzer der Erleichterung schon auf die Zukunft freuten, wurden wir von einer zweiten Welle getroffen. Nur ein Wimpernschlag und unser Glück war vorbei. Bei mehreren Menschen wurde das Corona- Virus bestätigt. Kottayam erhielt eine Ohrfeige. Es wurde mit dem Etikett „Rote Zone“ versehen – was maximale Einschränkung für die Menschen im Bezirk bedeutet – und unsere Hoffnungen zerschlugen sich wieder. Da wird einem in letzter Sekunde etwas entrissen, was man unbedingt wollte. Das ist kein schönes Gefühl.

Für uns alle, die von der Ausgangssperre frustriert sind und uns durch die Quarantäne erstickt fühlen, wäre die Freiheit, sich zu bewegen und etwas so Einfaches zu tun, wie zum Lebensmittelgeschäft zu gehen, um etwas einzukaufen, ein Segen. Unsere beruflichen Pläne und Urlaubsträume haben sich alle in Luft aufgelöst. Viele sind über Monate bereits von den nächsten Angehörigen und Lebenspartnern getrennt.

Da gibt es etwas, das ich mir eingestehen muss, “I am not ok!” (Es geht mir jetzt nicht gut.)

Das ist kein Zeichen von Schwäche! Das ist kein Versagen, sich zusammenzureißen! Ich sehe dies als eine Gelegenheit, unsere Gefühle in dieser gegenwärtigen Situation zu äußern und die Menschen um uns herum wissen zu lassen, dass wir nicht so “okay” sind, wie wir zu sein scheinen. Der positive Effekt dieser Offenbarung, während einer Krise, wie wir sie noch nie zuvor erlebt haben, kann der erste Schritt in Richtung einer guten psychischen Gesundheit werden. Wenn wir uns nur eingestehen: “Hey, im Moment geht es mir nicht sehr gut”, öffnen wir den Menschen um uns herum Türen zum gegenseitigen Verstehen. Das kann definitiv dazu beitragen, jede Beziehung zu verbessern. Diese Offenbarung könnte sogar anderen Menschen helfen zu verstehen, dass es in Ordnung ist, ehrlich mit Gefühlen umzugehen und sie mit anderen zu teilen. Wenn Menschen sich wirklich anstrengen einander zuzuhören, um sich gegenseitig zu verstehen, kann es Wunder wirken und die Gefühlssituation verbessern.

Leider hat die Frustration einige Menschen dazu gebracht, gewalttätig zu werden. Sie prügeln auf ihre Familienmitglieder oder auf diejenigen ein, die versuchen die Situation zu verbessern, so werden Polizisten und Krankenpfleger bedroht.

Einige „helle“ Köpfe trotzen sogar absichtlich den Regeln und Vorschriften, die eingeführt wurden, um uns alle vor diesem Virus zu schützen – einfach, weil sie frustriert sind und sich in irgendeiner Weise von negativen Gefühlen befreien wollen. Wissenschaftler haben festgestellt, dass eine einzige, sorglose Person potenziell Tausende von Menschen infizieren kann, wenn sie sich nicht an die von den Behörden vorgeschriebenen Sicherheitsvorschriften hält. Ein Prediger, der nach einem Besuch in Italien an einem religiösen Fest teilgenommen hatte, verursachte die Quarantäne von 15000 bis 40000 Personen, nachdem er und 19 seiner Verwandten positiv auf COVID-19 getestet worden waren.

Wir sind allerdings in der Lage, mehr zu verbreiten als Viren und Bakterien. Man kann auch mit einem bestimmten Verhalten einen starken Effekt auf andere haben. Auch Frustrationen können Tausende infizieren. Ein gedankenloser Kommentar oder zufälliger Unmutsausbruch kann viele verschiedene Menschen beeinflussen, die ihrerseits wieder andere beeinflussen, usw. In unserem aktuellen Kontext ist das im Grunde das emotionale Äquivalent von Niesen und Husten ohne Maske.

Also: besser gute Laune versprühen als den Frustrations-virus. Dazu müssen wir allerdings mehr Verständnis und mehr Akzeptanz untereinander schaffen.

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